Gaza-Geisel-Deal: Das peinliche Schweigen in der DFG-VK

Seit zwei Jahren sagen wir anlässlich des Krieges in Gaza: „Die Kriegsursache ist Antisemitismus. Der Kriegsgrund sind die Geiseln. Macht auch Druck auf die Hamas und ihre Unterstützerinnen, damit sie freigelassen werden“. Die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsgegnerinnen (DFG-VK) fand: „Verbandsschädigung!“ Daher schloss sie den Vorstand des Landesverbandes Berlin-Brandenburg aus dem Verein aus. Jetzt zeigt sich: Die Freilassung der Geiseln ermöglichte es der israelischen Regierung, einem Waffenstillstand zuzustimmen. Wird die DFG-VK dies als Anlass nehmen, ihre Positionen zu überdenken? Vermutlich nicht. Bisher herrscht peinliches Schweigen.

Kriegsgrund Antisemitismus
„Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten“ lautet der zentrale Satz in der Satzung der DFG-VK und auch der Grundsatzerklärung. Daher hat der Landesvorstand Berlin-Brandenburg seit dem 7. Oktober 2023 bei jeder Gelegenheit in der DFG-VK betont: „Im Nahen Osten ist Antisemitismus Kriegsgrund.“ Der Anlass des aktuellen Krieges sind über 1200 Tote und die 250 Geiseln, die die Hamas am 7.Oktober verschleppt hat. „Solange diese nicht alle freigelassen sind, wird die israelische Regierung weiter Krieg führen“, so lautete unsere These.

Druck auf die Hamas
Um die Freilassung der Geiseln zu erreichen, ist es notwendig, Druck auf die Hamas und ihre Verbündeten auszuüben. Wie richtig diese Analyse war, zeigt sich jetzt nach dem von Trumps Leuten vermittelten Waffenstillstand. Doch ein Denken in Gefühlen statt in Fakten vernebelt in der Friedensbewegung den Blick auf den Nahostkonflikt.

Gefühle statt Fakten
In der Friedensbewegung und der DFG-VK zählen Gefühle, nicht Fakten. Es zählt das Gefühl, auf der „richtigen“ Seite zu stehen. Die Kleinen und Schwachen unterstützen. Gegen die Großen und Mächtigen. Man fühlt, dass es besser sei, Israel einseitig zu verurteilen und zu dämonisieren. Die Kernforderung der Friedensbewegung zum Nahostkonflikt ist deshalb, Israel einseitig unter Druck zu setzen. Beim alltäglichen Gang durch den Supermarkt fühlt sich so manch ein*e Friedensbewegte* ganz widerständig, wenn sie* Avocados auf ihre Herkunft kontrolliert.

Verunsicherung nach dem 7.10.23
Diese klar geregelte Gewissheit, die ganz genau fühlt, wer „gut“ und wer „böse“ ist, bekam angesichts der unfassbar brutalen antisemitischen Gewalt der Hamas und ihrer Verbündeten am 7. Oktober 2023 einen kleinen Riss. Zu groß war die „(…) massive, gezielte und verbrecherische Gewalt der Hamas (…). Sie hat damit die zu Recht in den letzten Jahren kritisierte Asymmetrie der Gewalt im Nahost-Konflikt innerhalb eines Tages abgebaut. Das können nur Zyniker*innen als Erfolg verbuchen.“ Mit diesen Worten gab ein DFG-VK-Mitglied die Stimmung der ersten Tage nach dem 7. Oktober gut wieder.

Die beste Erklärung der DFG-VK ever
Die Bundes-DFG-VK veröffentlichte in dieser Situation das, was man leider ihre beste Erklärung zum Nahostkonflikt nennen muss. In dieser schrieb sie: „Für diesen Angriff der Hamas gibt es keine Rechtfertigung oder Entschuldigung. (…) ein Angriff auf ein friedliches Musikfest, bei dem Feiernde getötet oder verschleppt wurden, sind ein Verbrechen.“ Sogar unsere Kernforderung fand sich damals noch in der Erklärung: „Der DFG-VK Bundesverband verlangt die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln.“

Kriegsgrund fehlt
Doch in der besten Erklärung der DFG-VK zum Nahen Osten sucht man das zentrale Wort zum Verständnis des 7. Oktobers vergebens. Das fehlenden Wort lautet „Antisemitismus“. Dessen Fehlen ist fatal: Wie soll man den Krieg nicht unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitarbeiten, wenn man nicht in der Lage ist, die Kriegsursache Antisemitismus zu benennen?

Fehlende Analyse fatal
Selbst für den offenen, genozidalen Antisemitismus der Hamas scheint die DFG-VK blind zu sein. Wie fatal das ist, zeigen die Forderungen am Ende ihrer Erklärung vom Oktober 2023: Die Bundesspitze der DFG-VK forderte die Bundesregierung auf, diplomatischen Druck einseitig auf Israel auszuüben. Vom Druck auf die Hamas, die Geiseln freizulassen, keine Spur… die obige Erkenntnis war nur ein Lippenbekenntnis ohne Folgen. Schlimmer noch: Die Thematisierung der Geiseln ist ein Vehikel, um anschließend in guter alter Tradition Israel einseitig dämonisieren zu können.

Diskursverschiebung
Angesichts der Bombardierung Gazas durch die israelischen Armee war gefühlt schnell wieder klar, wer David und wer Goliath ist. So verschob sich der Diskurs innerhalb der DFG-VK endgültig Richtung Distanzlosigkeit zum Judenhass. In der Folgezeit demonstrierten die Friedensfreunde zusammen mit Hamas-Fans und Israel-Hassern für einen angeblich „Gerechten Frieden“. Mit Aufrufen voller einseitiger Schuldzuweisungen und Dämonisierungen gegenüber Israel. Geiselbefreiung? Nicht mehr der Rede wert. „Sind doch eigentlich auch selber schuld“, fühlt man wohl unterschwellig in der Friedensbewegung.

„Bring them home!“ als Protest
In Israel kristallisierte sich aus der Frage der Freilassung der Geiseln erneut eine breite Protestbewegung. Der Slogan „Bring them home!“ wurde zu einer Kritik an der aktuellen Regierung und ihrem Krieg in Gaza. Doch nicht einmal diese Brücke ermöglichte es weiten Teilen der Friedensbewegung und der DFG-VK, diese Forderung ernsthaft zu vertreten. Zu gering ist dort die Empathie mit Juden in Lebensgefahr. Zu gerne solidarisiert man sich offen oder verdeckt mit den angeblichen „Widerstandskämpfern“ der Hamas.

Gegen Antisemitismus?
Von unserer Pressearbeit unter Druck gesetzt behauptete Michael Schulze von Glaßer gegenüber der dpa postfaktisch: „Dass wir gegen Antisemitismus sind, ist ganz, ganz, ganz klar.“ Schön wär’s. Er müsste es eigentlich besser wissen. Wir wiesen seit Beginn unserer Mitgliedschaft in 2018 immer wieder auf antisemitische Statements und Positionen in und aus der DFG-VK hin.

Jüdischen Stadtrat ausgeladen
Den ersten Anlass dazu gab es im Januar 2020. Die DFK-Bayern lud den einzigen Münchener Stadtrat wegen seines Engegament gegen die „Kauft-nicht-bei-Juden!“-Kampagne „Boycott. Devestments. Sanctions.“ (BDS) von einer „Friedenskonferenz“ aus:

https://taz.de/Friedenskonferenz-in-Muenchen/!5655704

Kübelweise Hetze auf den Mailinglisten
Gleich danach im März startete die Corona-Pandemie. Es ergoss sich tonnenweise antisemitischer Verschwörungswahn über die Mailinglisten. Keine Story war zu dumm, als dass sich nicht DFG-VK-Funktionäre gefunden hätten, sie nachzuplappern. Die einzigen, die regelmäßig und konsequent widersprachen, waren wir.

Antisemit Niemöller ist Ehrenpräsident
Auf der Suche nach den Wurzel dieses Übels publizierten wir 2021 einen Text über den Ehrenpräsidenten der DFG-VK, Martin Niemöller. Wir fragten: „Wie viel Antisemitismus kann man übersehen?“

Bundessprecher quatscht Stereotype nach
Außerdem kritisierten Aktive des Landesverbands Berlin-Brandenburg 2021 Bundessprecher Jürgen Grässlin. Sie kritisierten, Grässlin plappere in seiner Nachbetrachtung des „World Peace Congress“ antisemitische Narrative um den Abstieg des britischen Sozialdemokraten Jeremy Corbyn nach (genau diese Ausgabe fehlt leider im Archiv der Zivilcourage).

Die Auseinandersetzung spitze sich 2023 nach dem 7. Oktober rapide zu. Wir gaben uns auf der Bundesebene mit einigen Erfolgen alle Mühe, antisemitische Erklärungen zu verhindern. Ein Mitglied aus Berlin gründete eine bundesweite AG. Diese erarbeite Prüfsteine für Antisemitismus:

https://berlin.dfg-vk.de/wp-content/uploads/sites/36/2024/07/Pruefsteine-Israel-Palaestina-final.pdf

Die DFG-VK lehnte es 2024 jedoch ab, diese im Verband zu etablieren. Antisemitismus? Für uns kein Problem, beschloss die Bundesebene.

Der Pager-Beschluss
Wie sehr unsere Arbeit gegen Antisemitismus das gute Gefühl in der DFG-VK störte, zeigte der Bundeskongress 2024. Hier nahmen die überwältigende Mehrheit der Delegierten eine Resolution an, die Israels gezielten Angriff auf Hisbollah-Terroristen als „Terror“ verunglimpfte und in ihrer Pressemitteilung dazu die antisemitische Kindermordlegende bediente. Der Beschluss ist inhaltlich so drüber, dass sogar ausgerechnet einer der Hauptamtlichen aus München eine recht treffende Kritik formulierte:

Friedensdemo mit Compact-Fahne
Am 3. Oktober 2025 sah man DFG-VK-Mitglieder lustig neben den Neonazis vom Compact-Magazin marschieren; auf einer „Friedensdemo“, zu der die DFG-VK mit aufgerufen hatte. Von alledem will Geschäftsführer Schulze von Glaßer nichts mitbekommen haben? Sanktionen wegen verbandsschädigenden Verhaltens gab es jedenfalls bei keinem der genannten Beispiele.

Rauswurf wegen Kritik an Antisemitismus
Unser Engagement sorgte dafür, dass die DFG-VK in der Corona-Zeit und nach der russischen Vollinvasion in den Augen vieler Medien als halbwegs seriöse Organisation erschien. Doch damit störten wir das gute Gefühl in der DFG-VK sehr. Mit fadenscheinigen Vorwänden beschloss die Bundesebene, uns wegen angeblichen verbandsschädigendem Verhaltens aus dem Verein auszuschließen:

https://www.zeit.de/news/2025-08/19/friedensgesellschaft-berliner-landesvorstand-ausgeschlossen

Freilassung der Geisel sorgt für Waffenruhe
Die aktuellen Entwicklungen zeigen jedoch, dass unser simple Analyse bezüglich des aktuellen Kriegsgrundes in Gaza richtig war. Die Hamas steht so unter Druck, dass sie die Geiseln frei lässt. Der Grund des Krieges ist weg. In der Folge befiehlt die israelische Regierung ihrer Armee eine Waffenruhe und den Rückzug. War das so schwer vorauszusehen? Nein. Aber man muss bereit sein, die Fakten zu betrachten, statt gefühlsduselig Avocados zu boykottieren.

Selbstkritik nicht zu erwarten
Mit Selbstkritik ist aus der DFG-VK leider nicht zu rechnen. Auf den Mailinglisten und in der Öffentlichkeitsarbeit der DFG-VK herrscht zur Sensation des Waffenstillstandes in Gaza bisher peinliches Schweigen (Stand 17.10.2025). Der gemeine Friedensschwurbler verweigert sich wie die letzten 40 Jahre einfach jeglicher Einsicht.

Bearbeitung, 17.10.25: Heute tauchte die erste Mail zum Thema auf: Ein lokaler Funktionär legt den Lesenden die Frage nahe, ob nicht eigentlich Israel daran schuld sei, dass nach dem Rückzug der israelischen Armee die Hamas als allererstes Erschießungen an den eigenen Leuten veranstaltet… Außerdem gab’s am 17.10.25 ein Statement des Bundessprecherinnenkreis zu den Vorwürfen des Antisemitismus. Alles sei Quatsch, die DFG-VK habe sich immer fundiert geäußert. Zum aktuellen Waffenstillstand schreibt der BSK: „das hätte schon viel früher geschehen müssen – und können“. Von der Erkenntnis, dass die ganzen einseitigen Schuldzuweisungen an Israel zu diesem Waffenstillstand nichts beigetragen haben, keine Spur!

Antisemitismus kein Problem?
Unser Fazit: Das Schicksal der Menschen im Nahen Osten interessiert die Friedensfreunde in der DFG-VK eigentlich nicht. Thema ist das nur, wenn die Geschehnisse ihnen Gelegenheit bieten, ihren Israelhass kundzutun. So baut man die Kriegsursache Antisemitismus nicht ab; man verstärkt sie. Doch statt selbstkritisch auf den Scherbenhaufen zu blicken, werfen sie uns jetzt lieber aus ihrem Verein. Antisemitismus nach wie vor kein Problem für die DFG-VK.

Hoffnung
Die überraschende Freilassung der Geiseln und der nach wie vor prekäre Waffenstillstand machen uns dennoch Hoffnung. Wir hoffen, dass die Freilassung der Geiseln nun wirklich einem dauerhaften Frieden in Nahost den Weg ebnen kann—auch wenn die konkrete Gestaltung dieses Wegs noch ungewiss ist und noch viele Fragen offen bleiben. Für die Einwohner*innen Gazas hoffen wir auf ein Leben frei vom Hamas-Terrorregime, von Krieg und von Zerstörung. Wir erhoffen uns eine Zukunft, in der Jüdinnen:Juden in Israel und überall in Sicherheit leben können. Fingers crossed.

Mehr Infos:

Deutsche Friedensgesellschaft wirft Antisemitismus-Gegner*innen raus:

Chronologie des Streites um Antisemitismus und das Netzwerk „Gerechten Frieden“:

„Klag doch weiter, wenn Du genug Geld hast“ – Keine Entscheidung im Antisemitismusstreit in der DFG-VK: